Chancengleichheit für psychisch erkrankte Personen in der medizinischen Versorgung erhöhen
Jan. 2018Chancengleichheit
Koordinierte Versorgung. Das Bundesamt für Gesundheit (BAG) hat im Rahmen des Projekts «Koordinierte Versorgung» (1) eine Situationsanalyse erstellen lassen, welche die Herausforderungen in der koordinierten Versorgung von psychisch erkrankten Personen mit zusätzlichen körperlichen Erkrankungen aufzeigt. Die Vielfalt und Komplexität von psychisch- somatischen Komorbiditäten erfordert sowohl in der Diagnostik als auch in der Behandlung und Betreuung mehr Aufmerksamkeit.
In der Schweiz leiden über 70 Prozent der Personen mit ausgeprägter psychischer Belastung und rund 73 Prozent der Personen mit Depressionssymptomen zusätzlich an körperlichen Beschwerden. Besonders häufig sind Komorbiditäten im Bereich von Essstörungen, Störungen durch psychotrope Substanzen (Alkohol und Drogen), bei Schizophrenien, bei Demenz und im Zusammenhang mit depressiven Störungen.
Betrachtet man die akutmedizinische somatische Versorgung von Menschen mit psychischen Erkrankungen, so sieht man, dass diese häufig aufgrund von nicht übertragbaren Krankheiten (NCD) (2) behandelt werden. Das hat auch Einfluss auf die Mortalität dieser Patientengruppe. Menschen mit psychischen Erkrankungen haben eine um 10 bis sogar 25 Jahre geringere Lebenserwartung. Die tiefere Lebensdauer wird nebst der erhöhten Prävalenz für NCD unter anderem auf Nebenwirkungen von Psychopharmaka bzw. auf einen selbstvernachlässigenden Lebensstil zurückgeführt. Suizide erklären nur einen kleinen Teil der verkürzten Lebenserwartung.
Herausforderungen bei der Behandlung
Die Vielfalt und Komplexität von psychisch-somatischen Komorbiditäten stellt bereits bei der Diagnostik eine grundlegende Herausforderung dar. Die Wahrscheinlichkeit für eine unzureichende Diagnostik und medizinische Behandlung von körperlichen Begleiterkrankungen ist bei psychisch erkrankten Personen deutlich erhöht.
Dies liegt unter anderem daran, dass Personen mit psychischen Erkrankungen und somatischen Komorbiditäten oftmals in mehreren Versorgungsbereichen anzutreffen sind. Dadurch wären sie auf Fachpersonen sowohl somatischer als auch psychiatrischer Ausrichtung angewiesen, welche ein Bewusstsein für die ganzheitliche medizinische Versorgung sowie ein interdisziplinäres Grundwissen aufweisen. Eine Schlüsselrolle in der Behandlung kommt den Hausärztinnen und Hausärzten zu, welche einen Patienten oder eine Patientin wegen ihres beispielsweise risikoreichen Alkoholkonsums sowohl in die Akutsomatik als auch in eine psychiatrische Einrichtung weiterweisen.
Die Wahrscheinlichkeit für eine unzureichende Diagnostik und medizinische Behandlung von körperlichen Begleiterkrankungen ist bei psychisch erkrankten Personen deutlich erhöht.
Ausserdem stellen diese Patienten, krankheitsbedingt und aufgrund psychosozialer Belastungen, eine besondere Herausforderung bei der Therapierung dar. Der Aufwand, sie zur Kooperation zu bewegen und im Versorgungssystem zu halten, wird als gross empfunden und übersteigt rasch die Möglichkeiten ambulanter Einzelpraxen.
Handlungsbedarf in der Schweiz
In Zukunft wird sich das BAG – gemeinsam mit den relevanten Akteuren – für die Verbesserung einer koordinierten Versorgung für Menschen mit psychisch- somatischer Komorbidität engagieren und entsprechende Massnahmen umsetzen. Betroffene Personen, Angehörige und Fachpersonen sollen für das Thema «psychisch erkrankte Personen mit gleichzeitig somatischen Erkrankungen » sensibilisiert werden. Dazu sind breit abgestützte Kommunikationsmassnahmen geplant, über die Betroffene sowie Fachpersonen gezielt Informationen erhalten. Zudem sollen bestehende Good-Practice-Beispiele (national und international) ermittelt und bekannt gemacht werden. Das BAG will mit diesen Aktivitäten verstärkt für das Thema sensibilisieren und der Stigmatisierung und Diskriminierung dieser Personen entgegenwirken. Kontinuität und die Koordination der medizinisch-therapeutischen Behandlung sowie die Vernetzung zwischen Gesundheits- und Sozialsystem sind für die adäquate Versorgung dieser Patientinnen und Patienten von zentraler Bedeutung.
Literatur: Schlapbach, M., Rufl in, R. (2017): Koordinierte Versorgung für psychisch erkrankte Personen an der Schnittstelle «Akutsomatik – Psychiatrie resp. psychiatrische Klinik» – Schlussbericht socialdesign ag im Auftrag des Bundesamtes für Gesundheit (BAG).
(1) Die «koordinierte Versorgung» wird definiert als die
Gesamtheit der Verfahren, die dazu dienen, die Qualität
der Behandlung der Patientinnen und Patienten über die
gesamte Behandlungskette hinweg zu verbessern. Im
Zentrum steht die Patientin bzw. der Patient:
Koordination und Integration erfolgen entlang der ganzen
Behandlung und Betreuung.
(2) Atemwegserkrankungen, Herz-Kreislauf-Erkrankungen,
Krebs, Diabetes und muskuloskelettale Erkrankungen
Kontakt
Stefanie Johner, Sektion Nationale Gesundheitspolitik, stefanie.johner@bag.admin.ch